Klassisch gegen den Strich… von Edmund Piper

in „Matting, Bayern Karate“, POLLeditionen, Berlin, 2007

Als ich die Arbeiten Heiko Mattings zum ersten Mal erlebte, faszinierte mich zunächst und ganz direkt der malerische Gestus des an der HdK in Berlin ausgebildeten Malers. Ein eigentümlicher Mix aus fein lasierter Farbmalerei und ungestüm kraftvollem Duktus. Entweder, nahm ich an, habe ich es hier mit einer beidseitig hoch ausgebildeten schizophrenen Persönlichkeit zu tun, oder mit einem Schelm, der das Arbeiten an Extremen liebt, der sich nicht davor scheut, zu polarisieren. Beides gefiel mir. Und so suchte ich den Kontakt.


Heute, einige Jahre später und um einige Matting-Arbeiten reicher, wäre ich mir noch immer nicht sicher, für welche der beiden Einschätzungen ich mich entscheiden sollte. Doch jetzt ist es mir egal. Denn zu sehr sind mir seine Arbeiten ans Herz gewachsen, im Guten wie im Bösen. Da vereinigen sich Anklänge von Baselitz und Lüpertz mit einem zeitgemäß jungen und für Berlin typischen Realismus. Akkurat ausgeführte Lasurmalerei steht neben ruppiger Behandlung des Materials. Dabei trifft dann naturalistische Anmutung auf aus freier Vorstellung ’falsch Gemaltes’, optische Hilfsmittel scheinen für Matting ebenso wenig zu existieren wie die Erfindung der Zentralperspektive.


Nicht selten wählt Matting statt eines großen Formates diverse kleine, die er fragmenthaft zu einem Ganzen vereinigt. Im Ansatz erinnert man sich dabei durchaus an Mattings Lehrer Wolfgang Petrick, dessen Material- Collagen Matting allerdings mit purer Malerei begegnet. Kein Zweifel: Heiko Matting liebt das Handwerk und er bezieht eine durch und durch malerische Position.


Dafür liebt er das Spiel mit dem Licht; mittels einer für die eigenen Bedürfnisse adaptierten Mischtechnik verleiht er den abgebildeten Objekten nicht nur Volumen, sondern auch eine teilweise bis in den Slapstick übertriebene Präsenz auf der Leinwand. Denn anders brächte er es wohlmöglich gar nicht fertig, sie alle zu malen, all die Panther, Pferde und Soldatenhelme, die in Fraktur aufgetragenen Holzund Beton-Beschriftungen, Berge und immer wieder Hirsche.


Spätestens hier wird klar: Mattings Arbeiten sind nicht unbedingt freundlich gemeint. Die von Matting gewählte Frontalansicht seiner Objekte erinnert stark an ägyptische Kunst, deren Aufgabe es stets war, Herrschaft zu verherrlichen. In die gleiche Kerbe schlagen die Objekte selbst: Allesamt potentielle, vergangene oder aktuelle Herrschaftssymbole. An ihnen zelebriert der Künstler seine Abrechnung mit historischen Klischees und konfrontiert Wertesysteme. So zum Beispiel, wenn er die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) nach Bayern verlegt. Hier stoßen Welten aufeinander und werden dabei bloßgestellt. Noch dazu setzt Matting die von ihm zitierten Symbole durchaus bewusst ein: Den Hirsch zum Beispiel. Dieser galt im Viktorianischen Zeitalter, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Symbol der Freiheit und Sehnsucht und mutierte erst viel später zum Sinnbild für angepasste Spießbürgerlichkeit. Matting malt ihn auf Soldaten-Helme und -Jacken und fragt danach, wie wir die Symbole deuten sollen. Seine so bemalten Armee-Jacken kann man womöglich sogar spazieren tragen. Vorher hätte man damit allenfalls im Gleichschritt marschieren dürfen.


Doch damit nicht genug: Indem sich Matting so explizit auf die DDR-Vergangenheit bezieht und dabei Symbole benutzt, die weit darüber hinaus reichen, wird klar, dass eine DDR ohne einen Zweiten Weltkrieg nicht existiert hätte. Der Gang der Geschichte will, dass der in der DDR verwendete und von Matting verkunstete NVA-Stahlhelm bereits gegen Ende des II. Weltkrieges erfunden und erprobt worden ist, von der Deutschen Wehrmacht Während also im Kino Hollywood-Star Tom Cruise den Stauffenberg und in der „Vanity Fair“ Philipp Freiherr von Boeselager zu den Verbrechen des Nazi-Regimes Interviews gibt, während in der Literatur Günter Grass die „Wilhelm Gustloff“ sinken lässt und im öffentlichen TV Maria Furtwängler barfuss durch ostpreußischen Eisregen flüchtet, um uns “Auch wir waren Opfer“ zu vermitteln, dekonstruiert Heiko Matting die plumpen Identifizierungsangebote der Populärkultur.


Und so ist Matting weder Kläger noch Richter: Er nutzt gekonnt die Möglichkeiten der Malerei, um seine Inhalte, anders als es in anderen Medien möglich wäre, symbolhaft zu transportieren. Dadurch sprechen seine Arbeiten auch zu einer Generation, die weder die DDR noch das „Dritte Reich“ erlebt hat, die aber dennoch nicht frei vom Trauma ist: Verdrängte Traumata verstärken sich von Generation zu Generation und sind so den nachfolgenden nur noch über Symbole zugänglich. Die Nachfahren müssen zwar deren innere Spannung ertragen, doch verfügen sie dabei nicht über die persönliche Erfahrung *. Und genau hier setzen Heiko Mattings Arbeiten an. Und genau hier werden sie, abgesehen von ihrer malerischen Kraft, auch inhaltlich unglaublich stark.


* Siehe hierzu Dan Bar-On: Kriegstrauma als soziales Phänomen. Erfahrungen in Israel. In Bronfen, E., Erdle, B.R. & S. Weigel (Hrsg.). Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster, Köln Böhlau 1999

Gegen die Glätte von Marc C. Reger (Reger Gallery, New York)

in „Matting, Bayern Karate“, POLLeditionen, Berlin, 2007

Matting arbeitet aus dem Gedächtnis, er erlaubt sich keine Fotos, keine optischen Hilfsmittel und auch keine Modelle. Lediglich bei „neuen“ Tieren oder technischen Gegenständen wie Waffen studiert er deren Beschaffenheit anhand von Bildern, wenn es denn nicht anders werden will. Er ist überzeugt, dass er selbst durch die ausschließliche Besinnung auf künstlerische Vorstellungskraft jene Eindringlichkeit und Individualität schaffen kann, die er von guter Malerei erwartet.


Wir wissen heute dank der Recherchen von David Hockney1, dass schon zu Beginn des 15. Jh. optische Hilfsmittel wie Linsen und Spiegel zur fotografischen Projektion und zur Reproduktion von Vorlagen angewendet wurden. Folge war ein verblüffender illusionistischer Effekt, der in der Folge und bis heute als übermenschlicher Maßstab für die Qualität von Beobachtung und Handwerk galt (immer unter der Annahme, dass damals ohne solche Hilfsmittel, geduldig und langwierig an der Natur gearbeitet worden wäre). Darüber hinaus können wir überrascht erfahren, dass durch die Verwendung einer camera obscura z. B. schon damals jener „Filmlook“ entstand, den wir heute als objektiv schön ansehen (Schärfe/Unschärfe, Raumtiefe, Licht-Schatten Relation).


Indem wir uns vergegenwärtigen, welchen Einfluss die multimediale Bilderschau (aktiv wie passiv) heute auf unsere Wahrnehmung von Realität (uns selbst eingeschlossen) hat, wird klar, dass wir den Bezug zu unseren (sofern vorhandenen) eigenen Bildern immer mehr verlieren müssen – wir denken und fühlen immer mehr vermittels einer fremdgesteuerten, letztlich fotorealistisch genormten Auffassung vom menschlichen Bild. Matting negiert diese Bilder nicht, im Gegenteil, er setzt sich durch die Wahl seines künstlerischen Stils immer bewusster einem kunsthistorischen Kontext aus, in dem er verglichen werden will mit der Meisterschaft der älteren und der Expressivität der jüngeren Vergangenheit. Dabei ist die gesamte Erfahrung einer jahrhundertealten Malereitradition, die heute in noch vor wenigen Jahrzehnten nicht vorstellbarer Gegenwärtigkeit zur Verfügung steht, immanenter Teil einer übergreifenden Formerwartung. Matting bezieht sich, gewissermaßen als Medium dieser kollektiven Allinformiertheit, energisch darauf und dekonstruiert gleichzeitig unsere Vorstellungen von bildnerischem Ebenmaß.


Schon in kurzer Zeit werden flächendeckend technische Lösungen zur Verfügung stehen, die – für jedermann, zu jeder Zeit, an jedem Ort – hoch organisierte Bildangriffe im Animiermodus zur Verfügung stellen, eingespiegelt, aufgedampft und projiziert. Die Frage, ob es sich unter diesen Umständen lohnt, der Hypermassierung fremdbestimmter Bilder ein fragiles, störrisches und wohl auch divergentes Einzelverständnis entgegenzusetzen, ist für Matting klar entschieden. Die Malerei bietet als eine der wenigen wirklich individuellen Künste die Möglichkeit dazu.

1) David Hockney, Geheimes Wissen. Knesebeck Verlag, München 2001

Editorial von Lothar C. Poll

in „Matting, Bayern Karate“, POLLeditionen, Berlin, 2007

Matting, im Brandenburger Süden geboren und aufgewachsen, kam 1983 zum Lehrerwerden nach Berlin. Erster Mentor in künstlerischen Dingen war Lutz Tesmar. Einhergehend mit einem nicht ganz freiwilligen Studienabbruch entschied sich Matting 1986/87 für die Malerei. Zunächst Bewährung in der Produktion, die Bewerbung in Weissensee wurde abgelehnt. Er schützte die DDR als wehrpflichtiger Grenzsoldat in Thüringen und besah sich, frisch entlassen, den Mauerfall im Fernsehen. 1992 Reimmatrikulation an der Humboldt- Universität, 1993 Wechsel an die HdK, wo ihn Wolfgang Petrick von der Prüfung weg in seine Klasse holte. Endlich wurde nur noch gemalt; die West-Berliner Studierbedingungen waren opulent.


Die Begegnung mit Petrick war prägend; die schon früher nicht ernst genommene Offizialkunst der DDR, aber auch die in oft freudlosen, zwanghaft rückbesonnenen ästhetischen Nischen versammelte Gegenkunst der ostdeutschen Verweigerungselite wurde mit tatkräftigem Armschwung überwunden. Die nachkriegsdeutsche Malerei des Westens hat Matting, teilweise hyperventilierend, aufgesogen und, die Stile im Wochentakt wechselnd, in der eigenen Arbeit aufgehoben.
Zum Ende des Studiums dann Hinwendung zu einer scheinbar realistischen Form von Malerei: Die Körper werden genau formuliert und dabei bis ins Kleinste neu erfunden. Nach kurzer Zeit steht fest, dass die Verwendung fotografischer Vorlagen bis auf Ausnahmen verboten ist, da nur so eine eigenkontrollierte Bildschöpfung möglich ist. Das macht die Bilder oft ungelenk und den Zugang schwierig, ist für Matting aber nicht anders möglich.


Bald entsteht bei Matting Opposition und Fluchtreflex gegen den in West- Berlin vorgefundenen Kunstbetrieb, der von ihm als kraftlos empfunden wird. Der Widerwille verstärkt die ohnehin vorhandene Neigung, biografische Bezüge mit Polarisierungspotenzial zu verwenden. Zur Meisterschülerprüfung am Steinplatz 1997 präsentiert Matting sich selbst in siebenfacher Ausführung – als überlebensgroßer NVA-Soldat in Kämpferpose. In den nächsten Jahren gibt es wenig Zuspruch, Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit ist die Ablehnung einer Atelierförderung.


Anfang der 2000er Jahre kommt Matting auf den Hirsch; er besinnt sich auf das heimattümelnde Motiv, halb ironisch, halb ernsthaft als Medium, das einer gemeinsamen „Kartoffelsalat- und Bockwurst-Vergangenheit“ nachspürt, in der der deutsche Osten allerdings bis zu seinem Ende hängen geblieben ist. Vom Hirsch kommt er über die Berge, die einen natürlichen Horizont abgeben, alsbald nach Bayern. Und überall ist auch Beton, vorzugsweise verwittert aus dem Boden ragend und uns Deutsche an den gemeinsamen Größenwahn erinnernd.


Der einfache Trick, so Matting, „unter den Laborbedingungen der Individualkunst Malerei die Posamente einer historischen Niederlage (NVA) in ein sich selbst genügendes, zwanghaft siegreiches Gegenwartsgefüge (Bayern) zu implantieren, verschafft mir ein gewisses Meuterervergnügen und die Freude, sich als stänkernder Heimsucher des saturierten Westens fühlen zu können“. Politisch sieht er sich als „ratlosen Kommunisten mit einer Neigung zum Geldausgeben“.


Das alles jedoch, darauf legt Matting großen Wert, „spielt für das Malen nur als Anlass eine Rolle, das Bild wird auf andere Weise fertig“. Hier geht es, so der Künstler, „um komplexe Prozesse des Widerstreits von Hast und Warten, um die anmaßende Überwindung des eigenen Unvermögens, um Übermalungen, die zu tiefem Raum mutieren, um das kontemplative Erarbeiten von Figuration, die trotz Verweigerung von Naturalismus prägnant und persönlich werden muss“. Matting ist überzeugt, „dass sich gute Malerei wie ein herzlicher Händedruck zwischen Seelenverwandten und durch die Zeiten vermitteln soll“. Insofern hat die langwierige Arbeit für ihn Sinn über die eigene Unterhaltung hinaus.


Wir haben den Maler vor drei Jahren auf dem Berliner Kunstsalon entdeckt und stellen seine Malerei nach einem kleinen Einstand in der Galerie unserer Kunststiftung (2006) jetzt in einer ersten größeren Ausstellung vor.

Beton von Heiko Matting

2006

Beton taucht im Bild als eindimensionale Fläche auf, die den Bildraum und seine Bestandteile beschneidet, eingrenzt und oft den Blick aus einer angeschnittenen rohbau- oder auch ruinenartigen Vordergrundgegebenheit vorspielt. Die Betonfläche selbst wird ebenfalls (mehr oder weniger aufwendig) als zu gestaltende, farbige Fläche mit Reliefanspruch behandelt. Darüber hinaus taucht „Beton“ als Nennung auf, gewissermaßen als Werkstoffstempel mit einer eigenen Markigkeit des Wortbildes und -klanges.
Beton wird als Weltbaustein verstanden, als Bestandteil eines variierten taoistischen Systems im Sinne einer Ergänzung der Elemente Metall, Feuer, Wasser, Holz, Erde (siehe auch: Das Elementen- Chaos, 2005). Dabei wird davon ausgegangen, dass Beton als wesentlicher Baustoff des 20. Jahrhunderts deutliche Spuren in der äußeren Oberfläche der Landschaften (Großbauten, Bunker, Trümmer) und eben auch in der psychologischen Struktur der modernen Gesellschaft hinterlassen hat – als wichtiger Baustein untergegangener Reiche von angemaßter und ersehnter Weltbedeutung. Beton steht für Härte, für Verfestigung und den Anspruch von Ewigkeit und eben auch für Widerständigkeit in der Verrottung.

Bayern/ Mark von Heiko Matting

2006

Berge als figurationsbegleitende Landschaften spielen schon in den Soldatenbildern der letzten 90erJahre eine wichtige Rolle (Himmel, Berge, Schlamm, Wasser). In den am alten Klischee orientierten Hirschbildern der Jahre 2000–2002 waren Berge mehr oder weniger zwingend.


In der Serie „Bayern“, die aus zunächst ergebnisoffener Zeichenarbeit zu Beginn 2006 entstand, kam bald das Wort „Bayern“ zum Berge-Bild, schnell auch in deutlicher Unterscheidung zur flachen, kargen „Mark“ (Brandenburg). Da Zeichnen sich in der Regel schnell und assoziativ entwickelt, war der Weg zu einem fassbaren gedanklichen Kontext nicht weit. „Mark“ als tatsächliche Heimatlandschaft, „Bayern“ als weltweit bekanntes und benutztes Klischee für deutsche Landschaft schlechthin, deutsches Heimatverständnis und -tümelei.


Der Gegensatz zwischen fernwirkender Berglandschaft, die nach lieblicher Verklärung giert und melancholischer Tristesse, die bildnerisch kaum zu fassen ist, passte gut zum eigenen Erlebnishintergrund.
So bildet sich im Satz „Bayern wird, vom Osten aus, zur Heimat erklärt“ eine freudig vorgetragene, besitzergreifende Anmaßung gegen eine Landschaft, die mit sich im Reinen scheint.

Maltechnik von Heiko Matting

2006

Die Maltechnik bemüht sich um die Anmutung von Schönmalerei in einem sehr traditionellen Sinne, das Scheitern daran wird im wesentlichen durch zwei Dinge verursacht: Zum einen wird die traditionelle Technik nicht systematisch ausgeführt, dadurch entsteht ein starker Materialwiderstand, dessen anstrengende Überwindung sich im Bildfortschritt als eigener Energiewert dokumentiert. Planmäßigkeit im Sujet wird durch Planlosigkeit in der Technik absichtsvoll zerstört; es entsteht eine Patina des malerischen Für und Wider als wesentlicher Bestandteil der bildnerischen Philosophie.


Zum Anderen führt das Nichtbeachten fotografischer Vorlagen, das Arbeiten lediglich aus der visuellen Erinnerung, zu riesigen Problemen bei der Herstellung einer Figuration, die vorgibt, im Sinne eines illusionistischen Abbildes überzeugen zu wollen. Das bedingt das Abwägen der Komposition, der Anatomie etc. sozusagen in Echtzeit und als sichtbar bleibender malerischer Versuch, als nicht vollbringbare Idealleistung, als ewig schräge Behauptung.


In Phasen von Überdruss an der Fummelmalerei wird gern und expressiv aus dem ganzen Arm gearbeitet, mit der bloßen Hand geschlammt und geschliert oder werden mit vergammelten Pinseln und Restfarbbeständen stumpfe Flächen gepinselt, was im Wunschfall (und in der Energiesumme) zu einer inneren Ausgewogenheit führt.